Bild 1: Kerr-Bild einer Nd2Fe14B Schmelzprobe bei 200-facher Vergrößerung im Compound-Mikroskop mit typischen, z.T. komplexen Domänenmuster
(Abschlussdomänen: türkis; Streifendomänen: dunkelblau)

Einführung

Neben der klassischen Bestimmung der magnetischen Kenngrößen HC, JR und (BH)max aus der Hysterese, können die intrinsischen magnetischen Eigenschaften JS und K1 aus dem Domänenmuster ermittelt werden. An materialographischen Anschliffen werden die magnetischen Domänen z.B. mittels des magnetooptischen Kerr-Effekts [2] visualisiert (Bild 1 und Bild 2). Beim Kerr-Effekt wird auf die Oberfläche einer magnetischen Probe linear polarisiertes Licht eingestrahlt, dessen Schwingungsebene nach der Reflexion leicht gedreht, bzw. typischerweise elliptisch polarisiert ist. Betrachtet man das resultierende reflektierte Licht durch einen Analysator, erscheinen Domänen mit verschiedener Orientierung der spontanen Polarisation unterschiedlich hell.
Der Helligkeitsunterschied (= Domänenkontrast) ist ein Maß für die Sättigungspolarisation JS und die Domänenweite ein Maß für die Anisotropiekonstante K1. Für eisenreiche ferromagnetische Phasen wird ein ungefähr linearer Zusammenhang zwischen Magnetisierung und Kerr-Rotationswinkel [3] und darüber zum Domänenkontrast im Kerr-Bild gemessen.
Über verschiedene mathematische Modelle kann für einachsige magnetische Phasen aus der gemessenen Weite der Streifendomänen [3, 4, 5, 6], bzw. Abschlussdomänen [7, 8] die Wandenergie γ und darüber die Anisotropiekonstante K1 berechnet werden. Die Beobachtung des Kerr-Effekts ist mit speziellen Kerr-Mikroskopen, aber auch Laser-Scanning und Compound- Lichtmikroskopen möglich. Über den Ansatz der sensorischen Mikroskopie soll eine Methode entwickelt und verifiziert werden, mit welcher am klassischen Compound-Mikroskop und digitaler Bildanalyse aus der Domänenstruktur direkt die intrinsischen hartmagnetischen Eigenschaften ermittelt werden können.
Bild 2, Oben: Kerr-Bild einer Nd2Fe14B Abschlussdomäne bei 1000-facher Vergrößerung im Compound-Mikroskop. Das Domänenmuster in der Bildmitte ist typisch für eine geringere Korndicke (z.B. Pore direkt unterhalb der Schliffoberfläche). Unten: Streifendomänenmuster bei 200-facher Vergrößerung von Nd2Fe14B. Die Verzweigung der Streifen in Richtung Oberfläche ist typisch für einachsige magnetische Phasen mit hoher Kristallanisotropie


Experimentelles

Verwendete Proben: Das Versuchsprogramm wurde an den fünf eisenreichen hartmagnetischen Phasen Nd2Fe14B, Pr2Fe14B, Y2Fe14B, Ce2Fe14B und BaFe12O19 (Hexaferrit) sowie an SmCo5 durchgeführt. Die ersten vier Proben wurden im Lichtbogenofen als stöchiometrische Schmelzproben hergestellt. Beim Hexaferrit handelt es sich um ein kommerzielles Produkt. Diese hartmagnetischen Phasen sind in der wissenschaftlichen Literatur sehr gut untersucht und eignen sich somit zur Korrelation der intrinsischen hartmagnetischen Eigenschaften zu den quantitativen Ergebnissen der ausgewerteten Domänenbilder (Bild 3). Die Herstellung der materialographischen Anschliffe erfolgte mittels klassischer Präparationstechnik. Besonderes Augenmerk wurde auf eine artefaktfreie Schliffoberfläche gelegt.

Hardware, Bildaufnahme und Versuchsprogramm: Die Kerr-Untersuchungen wurden an einem vollautomatisierten Compound-Mikroskop vom Typ Axio Imager.Z2m im linear polarisierten Licht durchgeführt. Die Ansteuerung des Mikroskops erfolgte mit AxioVision. Die Abbildung der Domänen erfolgte mit den Objektiven EC Epiplan-NEOFLUAR 50x/0,8 und 100x/1,3 Öl-Pol. Als Lichtquelle wurde eine HXP 120 C mit Lichtleiter eingesetzt, um eine homogene Bildausleuchtung zu erzielen. Die Bildaufnahme erfolgt standardmäßig mit einer AxioCam HRc für bestmögliche Kontrastumfänge. Für die jeweiligen Objektive wurden spezielle, auf Polarisationsmikroskopie sorgfältig abgestimmte Shading-Korrekturen erstellt.

Bild 3: Exemplarische Bildausschnitte von Abschlussdomänen der untersuchten hartmagnetischen Phasen bei 1000-facher Vergrößerung. Qualitativ sind Unterschiede
in Domänenweite und -kontrast erkennbar
Zur Ermittlung der optimalen Belichtungszeit für jede Domäne wurde ein kleiner Messframe innerhalb der Domänen gesetzt, in welchem dann fokussiert und anschließend die Belichtungszeit automatisch bestimmt wurde. Bei Mikrotopographien wurde ggf. mittels erweiterter Tiefenschärfe ein einheitlich fokussiertes Bild erzeugt. Quantitative Bestimmung des Domänenkontrasts: Der Domänenkontrast von Abschlussdomänen erfolgte an 8bit Graustufenbilder und wurde in definierten Bereichen aus der Mitte des akquirierten Domänenbildes ausgewertet. Dadurch wurden Verfälschungen durch eventuell vorhandene Shading-Effekte eliminiert.
Bild 4: a) Methoden zur quantitativen Bestimmung des Domänenkontrasts und b) der Domänenoberflächenweite mittels Bildanalyse
Die quantitative Bestimmung des Domänenkontrasts wurde in AxioVision über (A) die Ermittlung der Peak-Lagen im Histogramm sowie (B) die bildanalytische Bestimmung des mittleren Grauwertes rund um die beiden Maxima mittels Schwellwert-Segmentierung (Bild 4a) umgesetzt. Quantitative Bestimmung der Domänenweite am Bsp. Nd2Fe14B: Die Berechnung der mittleren Domänenweite DS von Abschlussdomänen erfolgte über den stereologischen Ansatz des Linienschnittverfahrens nach [8], wie es auch bei der klassischen Korngrößenanalyse an Stählen angewendet wird. Die bildanalytische Bestimmung der Schnittpunkte und der gesamten Messtrecke wurde über eine angepasste automatisierte Linearanalyse in vertikaler und horizontaler Richtung in AxioVision realisiert (Bild 4b). An geeigneten Streifendomänen wurde interaktiv die Domänenweite Dm der einzelnen Streifen und die Korndicke L in AxioVision ausgemessen. Für jedes Korn wurde anschließend der Mittelwert für Dm und L gebildet.

Ergebnisse

Die quantitativ ermittelten Domänenkontraste der untersuchten eisenreichen hartmagnetischen Phasen korrelieren sehr gut mit der Sättigungspolarisation JS der jeweiligen Phase. So zeigt der Hexaferrit mit der niedrigsten Sättigungspolarisation auch den mit Abstand geringsten Domänen kontrast, während Nd2Fe14B mit der höchsten Sättigungspolarisation den höchsten Domänenkontrast aufweist. Die Domänenkontraste der drei weiteren hartmagnetischen Phasen kommen entsprechend ihrer Sättigungspolarisation zwischen dem Hexaferrit und Nd2Fe14B zu liegen (Bild 5). Allerdings liegen die Kontraste bei Co-Sm-Phasen nicht auf dieser Linie der Fe haltigen Phasen. Die Gründe dafür müssen noch untersucht werden. Für Nd2Fe14B ergibt sich für die mittlere Domänenoberflächenweite DS ein Wert von 0,57 ± 0,13 μm. Über das Modell nach [9] und unter Verwendung der Literaturwerte für die Sättigungsmagnetisierung und Austauschkonstante berechnet sich die Anisotropiekonstante K1 zu 4,6 MJ/m³. Dies ist in sehr guter Übereinstimmung mit dem Literaturwert K1 = 4,3 MJ/m³. Für Streifendomänen berechnet sich die Anisotropiekonstante K1 zu 4,8 MJ/m³ unter Verwendung des Modells nach [6]. Für Korndicken L > 10 μm liefert dieses Modell die beste Übereinstimmung mit dem Literaturwert.

Zusammenfassung

Der Ansatz der sensorischen Mikroskopie am sorgfältig konfigurierten Compound-Mikroskop ist eine ressourceneffiziente Methode, mit der die intrinsischen Eigenschaften der untersuchten hartmagnetischen Phasen direkt aus dem aufgenommen Gefügebild abgeleitet werden können. Kern hierbei ist die bildanalytische Quantifizierung der Domänenstruktur hinsichtlich ihres Kontrasts und mittleren Weite. Für eisenreiche hartmagnetische Phasen können die Domänenkontraste zur Beurteilung der Sättigungspolarisation JS herangezogen werden. Die Anisotropiekonstante K1 kann mittels der bildanalytisch bestimmten mittleren Domänenweite und mathematischer Modelle mit guter Genauigkeit berechnet werden. Dies eröffnet neue Perspektiven in der Magnetforschung und Qualitätssicherung. So können zum Beispiel neue hartmagnetische Phasen schnell hinsichtlich ihrer Anwendungspotentiale evaluiert werden.

Literatur

[1] W. Rodewald, in Handbook of magnetism and advanced magnetic materials (eds. H. Kronmüller, S. Parkin), John Wiley & Sons, 1969-2004 (2007)

[2] H.J. Williams, F.G. Foster, E.A. Wood, Phys. Rev. 82, 119-120 (1951)

[3] K.H.J. Buschow, P.G. van Engen, R. Jongebreuer, J. Magn. Magn. Mater. 38, 1-22 (1983)

[4] C. Kittel, Phys. Rev. 70, 965 (1946)

[5] J. Kaczer, Sov. Phys. JETP 19, 1204 (1964)

[6] R. Szymczak, Acta Phys. Pol. A 43, 571 (1973)

[7] A. Hubert, Phys. Stat. Sol. 24, 669 (1967)

[8] R. Bodenberger, A. Hubert, Phys. Stat. Sol. (a) 44, K7-K11 (1977)